newbee schrieb:
Zuletzt wäre die Vorverurteilung eines oder einer Beschuldigten auf Grund des "allgemeinen Lebensverstandes" von Ermittlungsbeamten alles, nur nicht gerecht. Jeder hat zunächst als Unschuldig zu gelten, bis eine individuelle (!) Schuld nachgewiesen werden kann. Zu akzeptieren, dass pauschal jemand auf Grund von "Erfahrung" diskreditiert werden darf, ebnet zwangsläufig den Weg zum Willkürstaat ("... die kenn ma schon, die Zigeuner/Juden/Obezahrer/Pfuscherfotografen ... schuldig!")
Behörden und Gerichte sind gehalten, nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit herauszufinden und sie müssen (!) jeweils eine Entscheidung treffen. Im Zuge der Rechtsgeschichte hat sich die freie Beweiswürdigung unter allen unzulänglichen Methoden als die beste herauskristallisiert. Vor 1000 Jahren ginge es zB noch darum, wer mehr Zeugen für die eigene Glaubwürdigkeit (im Sinne von X ist ein ehrenwerter Mann) hatte und es wurde einfach gezählt, Im Strafprozess gab es teils heute sehr eigentümlich anmutende Beweisregeln.
Grundsatz also: es soll der wahre Sachverhalt herausgefunden werden, Zeugen und deren Anzahl sind nur ein Mittel dazu. Der ehemalige Bundeskanzler Sinowatz wurde zB aufgrund der einen Aussage der Ottilie Matousek verurteilt, obwohl Horden von Leuten, die beim fraglichen Ereignis ebenfalls dabei waren, für Sinowatz ausgesagt habe. Der einen Aussage von Frau M. wurde eben -vermutlich zurecht- mehr glauben geschenkt.
Die allgemeine Lebenserfahrung darf nicht in reine Willkür ausarten, sie darf nicht nur behauptet werden, sondern muss -wenn sie nicht offensichtlich ist- etwa durch Beispiele belegt werden.
Der von dir angesprochene Grundsatz "in dubio pro reo" also im Zweifel für den Angeklagten braucht erstens einen wirklich berechtigten Zweifel, und zweitens gilt er nur im Strafverfahren (auch Verwaltungs- oder Finanzstrafverfahren)
Im Zivilprozess muss eine Entscheidung getroffen werden und zwar im Prinzip nach dem Grundsatz, welche Darstellung ist nun glaubwürdiger. Hier kann ein Richter nicht sagen "ich kann mich nicht entscheiden" und deshalb tritt automatisch die Regel "Im Zweifel für XY" ein.