Die Welt durch ein Loch einfangen

    • Die Welt durch ein Loch einfangen

      Statt mit digitalen Apparaten arbeiten immer mehr Künstler mit der jahrhundertealten Technik der Lochkamera. FM5 fragte Fotografen, warum das älteste Prinzip der Fotografie immer noch fasziniert.

      Coladosen, schwarze Schachteln oder Turnschuhe. Normalerweise sind das nicht Gegenstände, die man mit Fotografie verbindet. Ronka Oberhammer tut das schon: Im Zeitalter digitaler Apparate wird die älteste Technik der Fotografie, jene der Camera Obscura, von Künstlern in ganz Europa wiederentdeckt. Oberhammer, die in Berlin lebt, arbeitet seit Jahren mit Lochkameras. Die Lehrbeauftrage an der Fachhochschule für Design in Dessau gründete vor elf Jahren die Künstlergruppierung Linsenfrei, die sich auf das Fotografieren ohne Technik und mithilfe eines simplen, physikalischen Prinzips spezialisiert hat. "Eine Lochkamera kann alles sein", erklärt Oberhammer. "Der Gegenstand benötigt nur auf der einen Seite ein kleines Loch und auf der anderen Seite einen fotografischen Film."

      Konkret bedeutet das, dass die Lochkamera, um Abbildungen zu erzeugen, keine optische Linse benötigt, sondern nur eine dunkle Zelle mit einer kleinen, verschließbaren Öffnung. Das auf der gegenüberliegenden Innenseite entstehende reelle Bild lässt sich auf lichtempfindlichem Material - Fotopapier oder Film - festhalten. Der genaue Zeitpunkt der Entdeckung des Prinzips der Lochkamera, auch Camera Obscura (ital.) oder Pinhole-Camera (engl.), ist umstritten. Er lag aber weit vor Christi Geburt, schätzt Oberhammer (siehe Infobox).

      Quadratisch, praktisch, gut

      Für die 36-jährige Künstlerin ist und bleibt ihr Fotoapparat – trotz neuester Entwicklungen auf dem digitalen Kameramarkt – der einfachste, den es gibt. Er besteht aus drei Bögen festem schwarzen Tonpapier, Fotopapier, Klebstoff und einem millimetergroßen Loch. Der deutsche Künstler Thomas Bachler kam für seine Arbeiten sogar mit nichts anderem aus als Fotopapier; der Apparat war der Körper des deutschen Fotografen selbst.

      Photoshop ist keine Alternative

      Damit aber Bilder mit Lochkameras gelingen, braucht es Erfahrung und viel Geduld, meint die Fotografin. Lochkamera-Effekte lassen sich aber auch ganz einfach bei digitalen Bildern mit Computerprogrammen wie Photoshop nachahmen. Warum sind Lochkameras trotzdem der Mühe wert? Oberhammer: "Mir geht es nicht allein um das Foto. Während der Arbeit mit dieser Technik mache ich mir bewusst, was für ein großer Unterschied zwischen Fotografie und dem menschlichen Sehen besteht."

      Lochkamera-Arbeiten seien laut Oberhammer "etwas Besonderes": Denn im Gegensatz zu digitalen Apparaten - bei denen man mit Sucher, Zoom und diversen anderen Einstellungen die komplette Kontrolle über das Foto hat - bilden "Lochkameras die Realität nicht ab, sondern schaffen eine ganz neue, für uns normalerweise nicht sichtbare". Konkret bedeutet das, dass es auf den Bildern keine Schärfenebene gibt: Gegenstände im Vordergrund bleiben genauso scharf wie weit entfernte Objekte. Außerdem treten an den Lochrändern Beugungserscheinungen auf. Grund dafür ist das selbstgemachte Loch, das Lichtstrahlen wegen seiner unregelmäßigen Form aus ihrer Bahn lenkt.

      Berlin, Rom, Wien - immer mehr Ausstellungen und Workshops

      Oliver Möst, der ebenfalls zur Gruppe Linsenfrei gehört, hat einen anderen Zugang zu der Thematik: Der deutsche Fotograf erklärt im Gespräch mit FM5, dass er alte Techniken nicht benutzt, um einem "digitalen Trend" entgegenzuwirken. Er will lediglich durch bestimmte Effekte Stimmungen in seinen Bildern transportieren und bedient sich deshalb bei seiner Arbeit aller drei Techniken: selbstgebaute Lochkameras, analoge oder digitale Techniken. Im Berliner Museum Berlinische Galerie sind derzeit Lochkamera-Videos des Künstlers zu sehen.

      Aber nicht nur in deutschen Fotogalerien wird das älteste Prinzip der Fotografie immer öfter thematisiert: In Italien bietet der Fotograf Andreas Pflaum fünftägige Lochkamera-Workshops an – und erfreut sich mit seinem Programm bei professionellen Fotografen immer größerer Beliebtheit. 2010 sollen auch in Österreich wieder Bilder der Gruppe Linsenfrei ausgestellt werden.

      "Trend geht von Galeristen aus"

      Dass es einen Aufschwung von Lochkamera-Bildern innerhalb der Kunstszene gibt, bemerken sogar Fotografen, die seit mehreren Jahren nicht mehr mit Lochkameras zu tun hatten. Wie zum Beispiel Thomas Kellner: Der Fotograf aus Bonn arbeitete vor zehn Jahren mit Lochkameras, um unabhängig von "industriell technisierten Konventionen" Fotografien zu machen. Im FM5-Gespräch erklärt der Künstler, dass es eine erste Hochphase der Lochkamera bereits in den 90er Jahren gab. Das erneute Aufleben von Lochkamera-Bildern gehe laut Kellner aber nicht von Künstlern aus, "sondern von Galeristen und dem Publikum, die vermehrt Interesse an Arbeiten mit Lochkameras zeigen". Ausschlaggebend dafür sei, dass heute Ausstellungen mit digitaler Fotografie und technisch bearbeiteten Bildern "regelrecht überflutet" werden. Galeristen versuchen deshalb, mit "unkonventionellen und puristischen Techniken" wieder Besucher in ihre Ausstellungen zu locken. Lochkameras werden Künstler aus einem anderen, simplen Grund auch in den nächsten hundert Jahren faszinieren. Kellner: "Heute sind selbst die einfachsten Geräte mit Funktionen überfrachtet und ohne Gebrauchsanweisung kaum noch zu bedienen; dann freut man sich einfach über eine Technik, die mit nichts außer einem Loch auskommt."


      Infobox:
      Als Namensgeber für die gesamte Gattung der Kameras gilt die Camera Obscura (ital. 'dunkle Kammer'). Ihr Prinzip erkannte bereits Aristoteles (384–332 v. Chr.) im vierten Jahrhundert vor Christus: "Wenn Licht durch ein kleines Loch in einen dunklen Raum fällt, erzeugt es ein auf dem Kopf stehendes Bild", so Aristoteles in seinem Text Problemata physica.



      Quelle: [Links sind nur für Registrierte Benutzer sichtbar]
    • Nachdem jetzt ein paar Anfragen reingekommen sind, hier Antworten zum Subjektiv.

      Das Subjektiv wird von [Links sind nur für Registrierte Benutzer sichtbar] vertrieben, Erzeuger ist Novoflex. Weitere Infos über das Subjektiv findet ihr [Links sind nur für Registrierte Benutzer sichtbar] .

      Hab es mir vor einigen Wochen bestellt und finde das Ding recht pasabel. Vorsicht bei Langzeitbelichtungen mit der Lochblende, der Sensor zieht Staub förmlich an. Und wenn er schon vorher nicht ganz sauber war, sieht man dann jedes feinste Staubpartikel. Blende 160 und 5min. Belichtungszeit sei dank. :)

      //EDIT:
      hab ein Foto angehängt, das mit der Lochblende gemacht wurde. Belichtungszeit: 30sec. Ich musste etwa 100 Staubkörner wegstempeln. :)

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von tofo ()

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